Fresh, Hot & Delicious: I. Der Besuch eines Pornofestivals

Kann es an einem regnerischen Sonntagnachmittag im Oktober etwas Besseres geben, als in einem kleinen Kino Pornos zu schauen? Die Antworten auf diese Frage mögen geteilt sein. Als ich meiner aktuellen Situationship von meinem Besuch des 20. Pornofestivals berichtete, musste sie lachen: „Jetzt bist du wirklich in Berlin angekommen, oder?“ Die Attribute „Sex and the City“ gehören ja irgendwie zusammen, nicht nur dank Carrie Bradshaw und der ikonischen Serie um vier Freundinnen in New York. Es mag also ein Klischee sein, dennoch hat mir mein Besuch gefallen. Ich hatte mir die „Lesbian Shorts“ in einem kleinen Kreuzberger Kino ausgesucht – nicht ganz uneigennützig, da ich mich erstmals, mit 34 Jahren, in eine Frau verliebt habe. Auf einmal ist wieder alles neu: Man fühlt sich fast wie ein Teenager. Denn obwohl unsere Körper ähnlich aufgebaut sind, war mir noch nicht so ganz klar, wie Frauen eigentlich miteinander schlafen. In unserem Fall war das glücklicherweise etwas, was sich recht schnell herausfinden und erproben ließ – aber ich kam nicht umhin, mich zu fragen: Wie machen „das“ eigentlich andere Frauen? Meinen Freundeskreis fragen ging nicht – ich kenne keine bisexuellen oder lesbischen Frauen, mit denen man aufregende Gespräche über „das erste Mal“ hätte führen können. Einschlägige Zeitschriften, etwas, was damals die BRAVO für uns war, gibt es meines Wissens nicht. Eine Freundin hatte mir dann einen Podcast geschickt: „Keine Phase – Vorurteile über Bisexualität“. Jedoch musste ich die Folge nach einigen Minuten abschalten. Die vorgetragenen negativen Annahmen über gleichgeschlechtliche Liebe ließen Sorgen entstehen, die ich mir selbst nicht hätte ausdenken können – das half mir nicht weiter.

Den Mut, eine Frau zu küssen, hatte ich selten. Ich habe glückliche Beziehungen und meistens unglückliche Affären mit Männern geführt – es kommt mir heute aber nicht so vor, als ob ich etwas verpasst hätte. Jedoch verhielt es sich schon so: Die paar Male, die ich eine Frau interessant gefunden hatte, war der Schritt, sie beispielsweise auf einer Party zu küssen – oder ihr in irgendeiner Weise verständlich zu machen, dass die Unterhaltung ein Flirt sein soll – zu groß, zu aufwändig … ich empfand sicher auch Scham. Es war damit aber auch kein Leidensdruck verbunden; es war nur immer viel einfacher gewesen, mir einen Mann auszusuchen. Männer gefallen noch immer.

Im Foyer des Kinos begegne ich vielen Frauen, die mich mit ihren Outfits, Haarschnitten und Make-up inspirieren. Ich wartete auf eine gute Freundin, die sich mit mir gemeinsam die erotischen Kurzfilme anschauen wollte. Mit einer kleinen Tüte Popcorn, süß und salzig gemischt, war ich bereits ausgestattet. Den Werbeblock nutzten wir, um uns noch etwas zu unterhalten – als wir schließlich das abgedunkelte Kino betraten, lief gerade ein Trailer für einen Porno. Ich war gespannt, wie es sich anfühlen würde, in einem Kollektiv Sexfilme zu schauen. Vielleicht teilen einige die Erinnerung an das cringige Gefühl, das sich einstellte, wenn man mit den Eltern Filme wie beispielsweise Titanic schaute und es zu einer Sexszene kam – wie unangenehm es war, Leonardo DiCaprio und Kate Winslet beim Sex zuzuschauen, während man mit den Eltern ein Sofa teilte. Würde das hier genauso werden?

Nach dem letzten Trailer für einen Pornofilm – Penisse, die sich auf die Größe einer Kinoleinwand erstrecken, haben übrigens doch etwas ungewollt Witziges – erscheint das Logo des Festivals auf der Leinwand. Wir werden von einer Moderatorin begrüßt. Sie kündigt zwei Q&As mit Regisseurinnen nach den ersten beiden Filmen an. So bekommt der Abend einen feuilletonistischen Ansatz, was mir gefällt. Für mich sind Sexfilme erst seit etwa fünf Jahren etwas, mit dem ich mich überhaupt beschäftige – vielleicht ganz besonders durch die schwedische Filmemacherin Erika Lust, die mir mit ihrem feministischen Ansatz erstmals Lust auf das Genre „Porno“ gemacht hatte. Vorher waren Sexfilme für mich mit dem Sender DMAX und unrealistischen Darstellungen von Frauen verbunden, mit Sextapes aus Hollywood und Überforderung, mit Bildern aus einer hypersexualisierten Welt, die überhaupt nicht meine war. Was dieser Nachmittag im Kino auf jeden Fall zeigte: dass Pornofilme in erster Linie eben auch Filme sind – die sich in ihrer Machart, durch Regie, Kamera, Musik, Schnitt, Maske, Szenenbild … in ihrer Qualität unterscheiden und dass es etwas ist, über das man diskutieren kann. Das einzig Unangenehme am Q&A war, dass das Kino sicher zu 90 % von Frauen und queeren Menschen besucht war, es mir aber dann doch so vorkam, dass die Fragen von den wenigen anwesenden Männern gestellt wurden. Was dem Genre sicher auch gut tun würde: Filmförderung. Denn von schwierigen Produktionsbedingungen sprachen einige Macherinnen der Filme – und dabei muss man das Anschauen von Sexfilmen doch auch als eine Form der politischen Bildung verstehen.

Als wir später das Kino verlassen, sage ich: „Das war irgendwie auch ein bisschen wie ein Messebesuch.“ Denn man hat wirklich sehr viel und sehr viel Unterschiedliches gesehen. Es war interessant, die Vielfalt von Körperformen und Sexualität in ihrer Praxis zu sehen – von BDSM, Consent bis zum Einsatz vielfältigster Sextoys, die ich im realen Leben ehrlich gesagt noch nie und nirgendwo gesehen hatte. Allerdings: Ich bin auch erst seit sechs Monaten in Berlin … und in einer Stadt anzukommen, ist ja auch ein Prozess.